IN VIA fordert: Vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention muss Realität werden
Freiburg, 08. März 2023. Die Istanbul-Konvention, die Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, ist seit 2018 in Deutschland geltendes Recht. Sie ist die verpflichtende Grundlage, um gegen Gewalt an Frauen vorzugehen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Jedoch hat Deutschland bei ihrer Ratifizierung ausländerrechtliche Vorbehalte ausgesprochen, gegen die viele Frauenverbände und Migrationszusammenschlüsse eintraten. Jetzt hat Deutschland die ausgesprochenen Vorbehalte nicht verlängert, so dass die Istanbul-Konvention hier seit Februar 2023 uneingeschränkt gilt.
IN VIA Deutschland begrüßt die Rücknahme der Vorbehalte ausdrücklich. „Endlich kann jede Frau unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status umfassenden Schutz erfahren. Doch nun muss alles dafür getan werden, dass die Konvention uneingeschränkt in der Praxis umgesetzt wird“, so Professorin Katrin Keller, Vorsitzende von IN VIA Deutschland.
Von Gewalt betroffene Migrantinnen bleiben oft bei ihren gewalttätigen Partnern, weil sie Angst haben, ihren Aufenthalt zu verlieren und nicht wissen, wo sie unterkommen sollen. Meistens sind sie von ihren Partnern wirtschaftlich abhängig. Sie könnten auch nach geltendem Recht einen Aufenthalt erhalten, jedoch sind die Anforderungen an einen Nachweis der erfahrenen Gewalt sehr hoch. „Alle ausländischen Ehepartnerinnen müssen die Möglichkeit haben, einen eigenständigen, vom Partner unabhängigen Aufenthalt zu beantragen. Mit der Rücknahme des Vorbehalts verpflichtet sich Deutschland sicherzustellen, dass Betroffene die Aussetzung ihrer Abschiebung erwirken können“, erklärt Keller.
Von Gewalt betroffene Migrantinnen aus den EU-Staaten haben zwar ein Aufenthaltsrecht, jedoch, wenn sie nicht erwerbstätig sind, einen mangelnden Zugang zu Schutz- und Hilfeleistungen, etwa zu einem Krankenversicherungsschutz oder beim Zugang zu Frauenhäusern.
IN VIA fordert, dass alle von Gewalt betroffenen Mädchen und Frauen einen Rechtsanspruch auf unterstützende Leistungen erhalten. Opfer von Menschenhandel sind per se von Gewalt betroffen. Aber nur wenn sie in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren mitwirken, können sie eine verlängerbare Duldung erhalten. Sie müssen einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft erhalten. Denn bei Rückkehr in ihr Heimatland kann ihnen weiterhin Gewalt drohen.
Deutschland hat in den vergangenen Jahren bereits viel getan, um der Gewalt gegen Frauen entgegenzutreten. Dies hat GREVIO, die für die Überwachung der Umsetzung der Istanbul-Konvention zuständige unabhängige Expert*innengruppe festgestellt: So gibt es einen gesetzlichen und institutionellen Rahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Es wurde ein Hilfetelefon eingerichtet, an das sich Mädchen und Frauen in Not wenden können. Alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen werden als kriminell eingestuft. Kritisch bewertet wird hingegen, dass Frauenhäuser und Beratungsstellen sehr ungleich verteilt sind und gerade in ländlichen Regionen häufig gänzlich fehlen. IN VIA kritisiert diese Unterversorgung seit Langem und fordert, durch einen bedarfsgerechten Ausbau von Frauenhäusern Schutz vor Gewalt zu gewährleisten und deren Finanzierung sicher zu stellen.